Liebe Lia Marina,
wie war heute dein Sonnentergang? Es ist eine ganz eigene Stimmung, dieser Übergang im Zwielicht.
Egal wie laut es von der Autobahn her tönt. Wie unbeeindruckt davon ein feines Zirpen im hohen Gras. Gänse üben plaudernd die Flugformation. Sie ziehen vielleicht in den Süden? Eine Rabenfeder lädt ein zum Spiel mit der Lichtreflexion. So bin ich gedankenverloren versunken und drehe die blau, grün-gelb und leicht rötlich schimmernde Feder in der Hand.
Der Tag sinkt in mich hinein. Die letzten Gedankenfetzen senken sich, ich lasse sie sinken.
Und in mir breitet sich eine Ruhe aus, die sich ausdehnt nach allen Seiten – zum nächsten Gänsezug über mir, zur sinkenden Sonne am Horizont, zu den Bäumen um mich herum und zu den Wäldern, in denen ich schon mal verweilte, zu den Häusern und Städten, den Flüssen entlang weiter, bis zu dir.
Am Sonntag ist Neumondin, zugleich wechseln wir in den Herbst. Eine Zeit des Erntedanks und Neubeginns mit den Samen. Sie fallen auf vielfältige Art und Weise verpackt zu Boden. Viele Pflanzen brauchen die Tiere oder auch uns, dass wir die Samen verteilen und dafür von den reichen Geschenken der Früchte kosten. Langsam sinken sie in die Erde, um über den Winter vom Frühling zu träumen. Sie bereiten sich bereits innerlich darauf vor.
Sei herzlich umarmt!
Deine Großtante